Wanderjahre in Italien, 1856–1877
„Wir stiegen unterhalb der Villa Pepe in eine Barke. Ihr Führer war ein alter prächtiger Mann, einst Matrose der Marine, der sich in allen Weltteilen umhergetrieben hatte und jetzt seine Tage auf diesem Golf in Frieden beschloß. Die Barcarolen Tarents sind nicht jene lärmenden, fieberhaft aufgeregten, moskitoartig ihre Beute umschwärmenden Zudringlinge Neapels; sie sind die artigsten und bescheidensten Menschen, wie überhaupt das gesamte Tarentiner Volk von ausgesprochener Sanftmut zu sein scheint.
Wir fuhren an den stillen Gestaden entlang, über Trümmer antiker Bauten, welche unter der kristallhellen Woge deutlich sichtbar sind, wie jene der versunkenen Römervillen an den lieblichen Ufern des alten Antium. Man zieht hier aus der Flut noch oft Scherben antiker Vasen herauf; und Tarent war wie andere großgriechische Städte durch seine Vasenkunst berühmt. Das Ufer ist mit Staub von Korallen und mit zerbröckelten Muscheln fußhoch verschüttet. Der Barkenführer bot uns Hände voll von Stücken jener Purpurschnecken dar, die man «murex» nannte. Die Bereitung des Purpurs aus ihrem Saft hat das alte Tarent reich gemacht. Mit der in Purpur getränkten feinen Wolle der weißen Schafe, die am Galesus weideten, versorgte es einst Rom und Griechenland.“
Ferdinand Adolf Gregorovius (* 19. Januar 1821 in Neidenburg, Ostpreußen, † 1. Mai 1891 in München) deutscher Schriftsteller und Historiker; aus: https://gutenberg.spiegel.de/buch/wanderjahre-in-italien-2409/Kapitel 121
Module: SS_2019, B4, SPAZIO CONDIVISO, Stadtwohnen: Tarent - Borgo Antico
Module Code: [BSArch-C1_5/2011]
Semester: SS
Jahr: 2019