Den 29., Michaelistag abends.
„Von Venedig ist schon viel erzählt und gedruckt, dass ich mit Beschreibung nicht umständlich sein will, ich sage nur, wie es mir entgegenkommt. Was sich mir aber vor allem andern aufdringt, ist abermals das Volk, eine große Masse, ein notwendiges, unwillkürliches Dasein.
Dies Geschlecht hat sich nicht zum Spaß auf diese Inseln geflüchtet, es war keine Willkür, welche die Folgenden trieb, sich mit ihnen zu vereinigen; die Not lehrte sie ihre Sicherheit in der unvorteilhaftesten Lage suchen, die ihnen nachher so vorteilhaft ward und sie klug machte, als noch die ganze nördliche Welt im Düstern gefangen lag; ihre Vermehrung, ihr Reichtum war notwendige Folge. Nun drängten sich die Wohnungen enger und enger, Sand und Sumpf wurden durch Felsen ersetzt, die Häuser suchten die Luft, wie Bäume, die geschlossen stehen, sie mussten an Höhe zu gewinnen suchen, was ihnen an Breite abging. Auf jede Spanne des Bodens geizig und gleich anfangs in enge Räume gedrängt, ließen sie zu Gassen nicht mehr Breite, als nötig war, eine Hausreihe von der gegenüberstehenden zu trennen und dem Bürger notdürftige Durchgänge zu erhalten. Übrigens war ihnen das Wasser statt Straße, Platz und Spaziergang. Der Venezianer musste eine neue Art von Geschöpf werden, wie man denn auch Venedig nur mit sich selbst vergleichen kann.“
Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise 29.09.1786
Zweitprüferin: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Anke Naujokat
In Zusammenarbeit mit der Università di Venezia, Istituto Universitario di Architettura di Venezia, Gundula Rakowitz, Ricercatore, Dipartimento di Culture del Progetto, und Prof. Marko Pogacnik, Dipartimento di architettura Costruzione Conservazione
Module: CASA DELLA GONDOLA, Stadtwohnen: Venedig - San Trovaso
Module Code: 18ss-34551
Semester: SS
Jahr: 2018